Blicke in die Vergangenheit

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Als 58 Geister
auf dem Viehmarktplatze
zu Sonthofen
kämpften
Gewiter

Auf dem untern Viehmarktplatze zu Sonthofen, der gegen Hindelang zu liegt, hörte man ehedem öfters zu nächtlicher Zeit wildes Streiten und Lärmen und sah allerlei seltsame Feuer-Erscheinungen. Es sprühten da wilde Funken umher, und ganze Feuerstriche fuhren aneinander auf; denn es kämpften und stritten da die Geister solcher, die zu Lebzeiten auf dem Markte beim Viehhandel betrogen hatten.
Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers Sagen,

Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus

 

Der Schriftsteller Peter Dörfler, geboren 1878 in Untergermaringen im Allgäu, Bauernsohn, Heimatforscher, Priester und von Papst Pius XII. zum Monsignore ernannt, schrieb in den Jahren 1934 bis 1936 eine umfangreiche Allgäu Trilogie, die das Leben Karl Hirnbeins erzählt, der im 19. Jahrhundert vom Bauernsohn zum Geschäftsmann, Großgrundbesitzer und zum Patriarchen des Allgäus aufstieg. Hirnbein revolutionierte die Milch- und Käsewirtschaft seiner Heimat, ebenso erfolgreich wirkte er als Agrarreformer, Politiker und Pionier des Allgäu-Tourismus.

Peter Dörfler, der 1955 in München nach einem erfüllten Priester- und Schriftstellerleben starb, setzte mit seiner Hirnbein-Biografie dem Allgäu und seinem großen Sohn ein unvergessliches Denkmal.

Die Titel der drei Bücher, die zusammen etwa 1000 Seiten umfassen:
Der Notwender, Der Zwingherr, Der Alpkönig.

Der hier wiedergegebene Text stammt aus dem ersten Roman „Der Notwender“ und beschreibt den Viehmarkt in Sonthofen am Fuß des Kalvarienbergs, nicht weit entfernt vom (heute so genannten) Möggenried-Haus. Wo Geschäfte gemacht werden, da ist der gerissene Johann Hirnbein zur Stelle. Der Landwirt, Viehhändler und Ortsvorsteher hat auch seinen Sohn Karl mit nach Sonthofen genommen. Dort will der Vater dem noch unerfahrenen Sohn zeigen, wie man erfolgreich handelt. Anmerkung: Karl ist ein guter Schüler und schon einige Jahre später wird er seinen Vater beim Geschäftemachen um Längen übertreffen.

Wir schreiben das Jahr 1825. Der kriegerische Franzosenkaiser und Glücksritter Napoleon Bonaparte ist seit einigen Jahren tot, in der Verbannung auf der Insel Sankt Helena gestorben, möglicherweise von den Engländern vergiftet. Doch die Geschichte aus der Feder von Monsignore Peter Dörfler spielt nicht auf der vom Sturm umtosten Insel im Atlantik, sondern im schönen Allgäu - sie beginnt am Fuße des Grünten ...


Sonthofen mit Grünten und Grüntenhaus um 1850

Sonthofen im oberen Illertal war dazumal wie heute noch ein berühmter Name in jedem Marktverzeichnis der deutschen Länder, der Schweizer Kantone und auch der oberitalienischen Provinzen. Wie zur Herbstzeit, wenn die Apfelbäume in den Gärten und an den Straßen hingeschüttelt werden, die Früchte in dicken, goldenen Raunen auf dem mit Herbstzeitlosen durchwirkten Rasen liegen und dann zu den Kellern gefahren werden und sie füllen, so schienen um dieselbe Zeit die Berge im Hindelanger Tal, um Oberstdorf, um Immenstadt geschüttelt worden zu sein, und ihre Früchte waren Herden von mausfarbenem Vieh, das in langen Zügen von den Alpen herabkam, im Tal geschieden wurde, heimwärts läutete oder zu Sonthofen auf den großen Fastenmarkt gestellt wurde. Es war da alle Jahre ein Gewoge von Rindern, Schafen und Rossen, dass die zu Markte fahrenden Wägelchen wie Schiffe im Sturm sich mühsam durchkämpfen mussten.


Zum großen Fronfastenmarkt in Sonthofen fuhren einträchtig die Hirnbeine aus Wilhams, Pfarrei Missen, Vater (Johann) und Sohn (Karl/Carl). Sie sahen nicht die vom Föhn schwarzblau gefärbten, fast unheimlich herausgeputzten und nah gerückten Berge, nicht die bereits silbern im Neuschnee glänzenden Firnenhäupter, sondern das Vieh, das vor ihnen und hinter ihrem Wägelchen die Straße füllte. Der eine und andere Trupp gehörte ihnen bereits, denn sie hatten schon auf den Vormärkten zugegriffen, aber sie wollten heute auf dem Hauptmarkte noch große Geschäfte machen, damit sie die für den Geschäftsfreund in Bergamo zugesagte Anzahl von Ochsen und Jungrindern zusammenbrächten. Unter ihren dicken blauen Mänteln trugen sie strotzende Geldkatzen, um als Barbezahler Macht über die feilbietenden Bauern zu bekommen. Sie hatten ernste Gesichter vorgesetzt wie Soldaten vor der Schlacht, denn das Glück oder Unglück dieses Tages entschied Gewinn und Verlust dieses Jahres. Ein Mann aus Hueb bei Bühl drängte sich eigensinnig durch den stockenden Zug an den Wagen. Er zog drei Schumpen (einjähriges Rind) hinter sich her, pfiff dem Vorsteher und rief ihm zu: "Vorsteher, was bietest mir?" Johannes Hirnbein prüfte die etwas hageren Schumpen und antwortete: "Ich stell im Hirschen ein!" Schon schrie ein Zaumberger, dessen Sohn vier fette Ochsen gekoppelt vor sich hertrieb: "Können wir Geschäfte machen, Hannes? Was sind sie wert?

Die Augen von Vater und Sohn überflogen prüfend die schön gewachsenen, hochbeinigen Tiere, durch ihre Köpfe zuckten Rechnungen wie geölte Blitze.

"Jeder Krämer bietet seine Ware an!" antwortete der Vater ausweichend.

Der Bauer schrie zurück: "Zweihundertdreißig Gulden und ein Trinkgeld für meinen Buben sind sie unter Brüdern wert."

"Zahlt der Hinterfür, und der ist auf den Kopf gefallen!"

"Was bietest also?"

Karl rechnete für sich: Hundertneunzig. Der Vater sagte "Einhundertfünfzig. Und keinen Heller mehr. Hüh, man muss erst sehen, wie der Markt geht."

Nach einer Weile stand der Zaumberger am Wagen, reckte die Hand hinauf und rief fast bittende: "Schlag ein ... auf sechzig!"

Karl stieß den Vater an und winkte. Aber der Alte zug die Brauen nieder, schob das Kinn vor und schüttelte den Kopf. "So stell sie auf den Markt, und wenn du mehr kriegst, will ich nicht Hans heißen."

Der Bauer ging noch eine Weile, sich mit beiden Händen am Wägelchen haltend, mit, er sah aus, als wolle er das ganz Fuhrwerk zerreißen. Auch er rechnete, schluckte und überlegte. Endlich aber schrie er: "Also in drei Teufelsnamen, schlag ein auf fünfzig! Und dem Buben ein Trinkgeld."

"Also wohl! In den Stallungen beim Hirschen. Ich zahl um drei Uhr bar!"

Der Vater gab nachher dem Sohn die Belehrung: "Wenn du auf dem Markt nicht drückst, wirst gedrückt. Gib heut einmal acht, wie se die kühlen, ausgedenkten Schweizer machen - wie ein ausgesottener Jaßspieler (Jassen, ein schweizerisches Kartenspiel), und die glatten, glitschigen Welschen. Die Juden stecken uns ohnedies in den Sack. Gegen wehleidige Gesichter muss man zweimal hart sein. Greife nachher die Ochsen genau an, so wirst du merken, dass nicht wir, sondern der Zaumberger in Sonthofen etwas zu lachen hat!"

Als sie beim Hirschen einstellten, trafen sie Händler, die geschäftig umherschossen, aber Gesichter machten, wie der verzweifelte Judas. "Schlechter Markt!" schrie Galli Butschli aus St. Gallen. "Bigott, schlechter Markt!"

Aber Johannes Hirnbein drückte das feine Kinn in den weißgestärkten Kragen, schmunzelte und gab ruhsam zurück: "Auf einen schlechten Markt gehört ein guter Mut!"

Sie strebten dann eilig, so gut es gehen mochte, dem oberen Marktplatz zu, wo die Tiere Rücken hinter Rücken sich reihten, und zwischen ihren Wangen und stoßenden Hörnern bereits die Händler feilschend und händewerfend oder wie leise Diebe umhergeisterten.


Auf dem Viehmarktplatz (Marktanger) in Sonthofen, Mitte des 19. Jahrhunderts

 

Aber wie fröhliche Ufer am Rande dieses wildbewegten Tiersees lockten mit schreienden Bildern, mit Fahnen und Wimpeln die Buden und Schausteller, die Orgeln und Triller, die Zuckerbäcker, Metwirte und Metzger und Krämer aller Art, während Buddenträger (Hausierer) mit Pfeifen, Knöpfen und Hosenträgern sich sogar mitten in den Viehmarkt hineinwagten und sich mit Schnurren und lustigen Versen als billige Jakobe empfahlen.

"Uns fehlt der Absatz", kreischte ein krauses, schwarzes Jüdlein. "Das Militär im Piemontischen kauft bloß noch Ochsen aus dem Ungarischen!"

Aber keine solchen, die deinen Schwindel glauben!" trumpfte ihn Hirnbein der Vater ab, obwohl der welsche Jude eigentlich auch seinen Vorteil predigte. Sein hohes, steiles Gesicht trotzte dem andern wie gefroren in die glimmenden, erbosten Augen, so dass er seine wie Zähne gekrümmten Finger sinken ließ und, ohne eine Antwort zu geben, wegtauchte.

"Das Zürcher Biet ist für die Einfuhr gesperrt ... Maul- und Klauenseuche im Zürcher Biet!" hörte der Vorsteher den Uli Gosselfinger aus dem Haufen und bald darauf schon wieder an einer anderen Stelle, wo die Leute sich drängten, schreien. Und alsbald arbeiteten die Händler, die es gehört hatten, mit dieser Botschaft, um die Preise zu drücken.

Aber jetzt schrie der Wilhamser mit aller Kraft: "Wo ist der Uli Gosselfinger! Er mag zu mir kommen! He, wo ist der Gosselfinger?"
Sein Ruf lief durch die Haufen, und schon schoben sie den Schmuser und Händler durch die Reihen.

Johannes Hirnbein hatte einst als Hauptmann die Männer der Hoheneggischen Herrschaft geführt. Er war Vorsteher und Landrat und auch über die Bergstätten hinaus allem Volk wohlbekannt. Und er war es nun seit vielen Jahren gewöhnt, zu regieren und als der erste dazustehen.

Er sprang auf eine Kiste, die dalag, knallte mit seiner Peitsche und schrie nochmal: "Uli Gosselfinger!" Da taumelte der Gerufene heran. Und schon fitzte ihm der Zwick der Peitsche um die Ohren: "Da hast du noch eine besondere Schmiere für dein Lügengeschäft", schrie ihn der lange, schmale Hirnbein an. "Wer hat dich bezahlt, du Dreckfink, dass du uns den Markt verschreist. Wisset, Leute, das Zürcher Biet ist nicht gesperrt!"

Uli Gosselfinger, der siebenmal geschunden immer noch eine Fuchshaut über seinem fetten Leibe hatte, schob sich aus dem Bereich der Peitsche, kam aber in den Bereich der Fäuste und hatte seine Rolle für diesen Markt ausgespielt.

Noch immer waren die Händler, auch die Hirnbein, Vater und Sohn, daran, die Ware zu mustern, sich im Durchgehen das Zusagende zu merken. Es wurde wenig gekauft. "Schlechter Markt", grämelte Alowis Schmied von Zaumberg, als der ihm befreundete Hirnbein vorbeihastete, "wir werden wohl wieder heimtreiben müssen, wenn wir nicht verschenken wollen." Der Alowis war weißhautig und hatte wasserblaue Augen, die im steifen Zugwind überliefen. Auch andere Bekannte fragen besorgt an an, ob man denn von diesem Markt etwas hoffen könne. Sie hatten tragende Kühe hergebracht.

"Guten Mut!" wiederholte der Vorsteher immer wieder, "es geht besser als man meint. Ich hab den Domenico Zucchetti aus Rovereit (Roveretto) gesehen, den Battista Toni aus Chur, auch Ungarn und Piemontesen sind da. Sie alle sind gute Wetterzeichen. Die bessern Kühe sind rar, so viel ich seh, haltet also zurück!"

Und plötzlich ging der große Fischzug los. Erst wurde Stück um Stück abgesetzt. Dann aber kam es wie von Zugnetzen gezogen aus der brandenden See: dreißig, vierzig Ochsen auf einmal. Martin Bartli und der Domenico Zucchetti und ihre Aufkäufer wollen vor allem Melkkühe. Sie waren schon voller Haare vom Herumschliefen zwischen den Kühranzen, ja der Domenico war sogar mit einem Kuhfladen auf dem Rücken versehen, aber sie alle rannten wie toll und glühten, als brenne die Julisonne um das Salz und Pfeffer ihrer Haarschöpfe, während doch die Herbstsonne behaglich über dem brüllenden Marktsee wandelte und die von den Bergen streichenden Winde ihnen spielend Herbstfäden an die schwitzenden Stirnen klebten. "Was aben ik geschuldet, dass du bist eut min Feind, wo du gewest allwil min Freund!" klagte Domenico gegen Hirnbein den Vater, riß die großen schwarzen Augen auf und ließ furchtbare Zähne sehen, als wolle er ihn auffressen. Aber
Hirnbein der Vater blinzelte ihm zu: "Gut Freund, Herr Domenico, aber ihr könnt doch nicht verlangen, dass ich mein eigener Feind sei!" - "Glauben mir, wenn du druckest eute, drucken ik ander Jahr!" Darauf sagte Hirnbein: "Gut, dass ich das weiß! Der Bartli drückt mich nie!" Jetzt lachte Domenico, klopfte beiden Hirnbein auf die Schultern, nahm sie unter seine Arme und schimpfte freundschaftlich:"Kannst nix mak! Karlo aben eine slimme Vater, ganz sreckliche slimme Vater! Ik abkaufen, weil ik offen, Sohn einmal gut, und weil sprikt unser Sprak!" und er kaufte großzügig ein, alle Melkkühe, die von den Wilhamsern auf den Markt gebracht worden waren.

Später vereinbarten sie im Hirsch, dass der junge Hirnbein auch seine Herde, mehr als hundert Stück, zusammen mit dem Vater für den Geschäftsfreund aufgekauften Ochsen nach Bergamo treiben solle.

Wenn man so gerüttelt und geschaukelt, gestoßen und gepreßt worden ist, wenn man Sorge und Spannung hinter sich getan hat, dann zündet man die Pfeife an, und die Nase, müde des Tiergeruchs, wittert nach dem Bratenduft und Bierruch der Wirtshäuser - sind gute Geschäfte gemacht worden, muß die Freude begossen werden, wenn schlechte, der Ärger und Zorn. Aber nicht nur die vielen Wirtshäuser lockten mit schäumenden Krügen und dampfenden Schüsseln, auch Lebzelter und Metstände luden ein, Bäcker trugen ihre Bretzeln und Ulmer Zuckerbrot herum. Bärendreck und türkischen Honig gab es für die Jugend am oberen Markt zu schlecken, und Seidentüchlein und Berghüte mit Gamsbärten standen zum Kauf ...


Soweit der kurze Auszug aus Peter Dörflers Roman „Der Notwender“. Die Allgäu-Trilogie, die sich über 1000 Seiten so spannend liest wie ein Kriminalroman, findet man für wenig Geld in den Buchantiquariaten des Internets, mit etwas Glück auch von Zeit zu Zeit eBay.

Weitere Anmerkung: In alten Urkunden und auf dem Grabstein liest man den Namen Carl Hirnbein. Diese Schreibweise benutzt auch das Carl-Hirnbein-Museum in Missen-Wilhams. Peter Dörfler nennt seinen Helden Karl Hirnbein und im Allgäu wird der Name auch häufig so geschrieben. Beispiel: Die Karl-Hirnbein-Straße in Sonthofen, in der wir selbst wohnen
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